Der Spiegel

Sag mir Fremder, der du vor mir stehst, wie ist es, sich allein zu fühlen? Erklär es mir. Nenn mir, was es ist, das dich im Meer der Menschen lässt ertrinken, dich hinabzieht wie ein Schiffsanker Ballast auf den Grund der schwarzen See.

Du schweigst?

Glaubst du etwa, du kennst die Welt? Kennst nicht mal dich selbst! Hast doch keine Ahnung, welche Qual da draußen liegt! Lebst gebettet im Konstrukt des Rahmens deiner Parallelwelt zu mir.

Sag, geht es dir wie mir? Um und in dir sich Gedanken sträubend, wölbend einem Gebirge gleich, das kein Mensch jemals bezwingt. Gleich einer Wand, die uneinnehmbar dein Herzen unsichtbar umschließt und dich dir selbst lässt fremd erscheinen. Hämisch stehst du vor mir; nachahmend meiner Seele Schmerzen, die sich drängen gleich Mühlsteinen, die wie von fremder Hand auf die Brust sich legend dir und mir den Atem rauben! Der Schmerz, der nicht zu beschreiben ist mit einem Wort, nicht wahrnehmbar mit allen Sinnen und doch belagernd dein Herz wie Mauern aus kaltem Beton umfasst. Wie eisiges Gestein, das alle Zeiten überdauert. Abwartend, schlummernd in Trance verfällt und doch nie vergeht; epochenlos umherstreifend Arm und Reich gleichermaßen anfallend vergiftet.

Sag mir Fremder, dessen lechzende Seele sich nach Liebe verzehrend lieber an den heißen Flammen versengt, als den Schmerz zu akzeptieren; sag mir, wen hast du, der dich birgt im Meer der Menschen? Wen nennst du Heim?

Wem, so frag‘ ich dich, antwortest du wahrheitsgemäß auf die Frage wie es dir geht?

Niemandem?

Bist doch ich, so vor mir stehend, in perfekter Kongruenz mein Sein erfassend im Strom der Gesellschaft eher versinkend als bereit zu werden, was sie sind! Du, Fremder, der du mir entgegenblickst aus dem klaren Fenster, dessen Schliff wie die Bugkante eines Schiffes so fein; du bist wie ich gefangen im feinmaschigen Netz, das ausgelegt von der Gesellschaft Mensch und Mensch zusammenpferchend Einheit schaffen soll und so doch spaltet.

Du, Fremder bist wie ich. Ein Fisch im Netz, oft nicht fähig sich zu rühren, gebrochen von der Last, die täglich dich erdrückt, da nur du ankämpfend gegen den Strom der Masse schwimmst.

Du, Fremder bist wie ich. Allein.

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